FROZEN RIVER – Auf dünnem Eis USA 2008, 97 Minuten, Regie: Courtney Hunt. Pünktlich zum Weihnachtsfest muss Ray Eddy einsehen, dass ihr spielsüchtiger Mann nicht von seiner aktuellen Eskapade wiederkehren wird. Ebenso verschwunden sind sämtliche Ersparnisse und damit die Chance, der Tristesse des Trailerparks an der amerikanisch-kanadischen Grenze zu entkommen. Den Familienwagen findet die zweifache Mutter dennoch wieder, gerade als die Mohawk Lila das Vehikel stehlen will. Das erste Treffen der beiden Frauen endet brüsk. Doch dann kehrt die verzweifelte Ray zurück, um auf einen waghalsigen Deal einzusteigen: Gemeinsam mit Lila schmuggelt sie im Kofferraum illegale Einwanderer über einen zugefrorenen Grenzfluss. Den Lohn dafür hat sie bitter nötig, will sie weiterhin für ihre Kinder sorgen können. Und so lässt sich Ray auf weitere Passagen und damit ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei ein… Ein grandioses Plädoyer für Menschlichkeit, das sich jeglicher Verurteilung enthält und: Für Quentin Tarantino der atemberaubende Thriller des Jahres 2008!
Jan Hamms Kritik auf filmstarts.de:
„Das Handlungsgerüst ist simpel: Eine White-Trash-Mum wird kriminell, um zu überleben. Leicht hätte daraus ein Rührstück über den existenziellen Kampf der amerikanischen Unterschicht werden können. Doch Hunt gelingt es, den impliziten Kitsch zu neutralisieren, indem sie ihre Geschichte mit kühlem Realismus inszeniert und moralisierende Exkurse vermeidet. Einfühlsam verortet sie Rays kriminelle Energie in ihrer verzweifelten Wirtschaftslage, ohne aus den Augen zu verlieren, welchen Schaden ihre Protagonistin damit anrichtet. Hunt verdeutlicht schonungslos, dass der kriminelle Überlebenskampf, so unvermeidlich er sein mag, nichts Heroisches an sich hat. Kaum subtil, dafür dank der ausgezeichneten Fotografie sehr effektiv, spiegeln die geisterhaften Winterlandschaften am Ufer des „Frozen River“ das Seelenleben der Figuren wieder. Auch hier bleibt Hunts Drehbuch konsistent und schildert das Verhältnis zwischen Ray und Lila ohne jegliche Spur von Sentimentalität. Die beiden sind keine Freundinnen, zu Beginn nicht und am Ende kaum mehr. Was sie eint, ist ihr Überlebenswille. Hunt geht es nicht darum, Rays Vorgehen zu hinterfragen, sondern darum, dass sie überhaupt die Kraft hat, den Herausforderungen als sozial schwache, alleinerziehende Mutter entgegenzutreten. Abseits aller moralischen Fragen feiert „Frozen River“ den Wert der Familie, ja der Zwischenmenschlichkeit überhaupt, als Gegenentwurf zum überwältigenden Materialismus und als Motor des Überlebenskampfes. Und deswegen entgleitet der Film trotz all der Finsternis nie ins Depressive. Ein kleines Kunststück, das vor allem dank Melissa Leos ausdrucksstarkem Spiel glückt. „Frozen River“ ist eine sensible Beobachtung kritischer sozialer Verhältnisse, die ihre Fragen bewusst offen lässt.
Großer Preis der Jury beim Sundance-Festival!